Norbert Trojahn - Ein Lorbass aus der aus der Werderstraße

Eine kleine Geschichte im ländlichen Dialekt. Geschrieben von Magda Bils-Trojahn

Baumschulenbesitzer Franz Rathke

Zur Erleichterung: Fast jedes „j“ im Text wird „g“ gesprochen. (jenug = genug) Unbekannte Worte sind im Anhang übersetzt.



Es begab sich zu der Zeit, da fand der ehrbare Beamte Anton, an Jahren jereift, sein Schleiserchen, die junge Marjell Elfriede. Sie taten, was viele vor und nach ihnen taten bis in die heutje Zeit, mein Gommas, sie kriechten ein Marjellchen und nannten es Apolonia.


Mit gut einem Jahr konnte sie jehen und die Zoddern hingen ihr schon bis anne Schultern. Sie schedderte noch inne Bux als der Storch Walter, den Lorbaß, brachte. Mein Gommas, der schlabberte anne Brust, schedderte und blärrte, weil Luzia, als nächstes Marjellchen, ihm dieses streitig machte. Die schedderte auch inne Bux, blärrte …. Mein Gommas, das nutzte ihr nuscht, denn Magdalena, das dritte Marjellchen, mopste ihr der Mutter ach so scheene Titt’n. Apolonia, Walter und Luzia mussten nun an dem langen, zuckerjefillten, mit einem dicken Korken versehenen Schnuller schlabbern. Magdalena schedderte inne Bux und blärrte, weils nich weiterjing, immer nur Milch, äh, bäbä.


Die vier Bäljer kickten jedem fliegenden Storch nach und schrieen aus Leibeskräften: „Storch, Storch Uder, bring mir einen Bruder, Storch, Storch Ester, bring mir eine Schwääster!“ Nuscht, nuscht passierte. Da jing der jereifte Vatter zu seiner Olsch und pracherte: „Du, in vier Jahren haben wir nu erst vier Bäljer, es ist an der Zeit, du.“


Das kleine Mutterchen kickte ihr langes Lachodder janz verbiestert an, plusterte sich auf und … jing an ihre Arbeit. Jedacht hat sie: „Du oller Schubiak, ich bin doch nicht schucker!“ Und sie war glubsch! Fast drei Jahre war sie glubsch, denn das vierte Marjellchen kam erst knapp vier Jahre später. Ursula war ’ne richtje Kodderpupp, die Schwestern hätten jern mit ihr jespielt, aber se durften se nich mal angrabbeln, war son zartes Kind.


Die drei Erstjeborenen jingen schon inne Schul, als Norbert, dieser Prenter, als Osterei ins Nest jelejt wurd. Mein Gommas, der hatte jrad noch jefehlt. Der hing zwei Jahre anne Mutterbrust, schedderte und blärrte, wie die anderen Kreten auch. Manch einer inne Nachbarschaft mach jedacht haben, dass das so nich weiterjehen kann. Mein Gommas, das jing ……. sogar zwei auf einmal. Aber die waren zu mickerich. Johannes plierte nur ein bisschen und machte die Augen gleich wieder zu. Herbertchen hielt es fünf Monate aus, der mochte partout keine Milch.


Aber sechs Bäljer waren auch jenuch, zumal da noch Viehzeuch zu versorgen war: Im Stall standen zwei Kossen, manchmal Zicken, Karnickel, Jänse, Änten, mindestens fünfzehn Hiener und ‚n Hahn. Der wurd aber immer schnell von eine Frau jeschlacht , wer weiß warum, aber se sachte immer, der sah so vermuggert aus. Später standen auch Usch-Uschs im Stall, janz fette Säue.


Mein Gommas, aasisch viel hatte unser Mutterchen zu tun: Wäsche rubbeln, rollen, plätten. Die Kreten machten ihr viel zu schaffen. Sie brusselte und pichelte den janzen Tag, und ewig kamen die Blarren anjescheddert. Nei, leicht war’s nich, die vier Marjellchen und die zwei Prenter jroß zu machen, da waren richtje Schorfkreten bei! Se schmissen mit Fellacken und machten Peserchen, ärjerten Schucker-Brunchen und hatten sonst so Fisematenten im Kopp. Meeklich waren se auch, kieterten im Essen rum, wenn’s Klietermus jab, Wrucken, Sauerfleck, Pomuchel, Schwarzsauer oder Blinde Fischsupp. Mein Gommas, das arme Mutterchen konnte doch nich immer Fefferklopps, Flinsen, Flundern oder Klops mit Prachersoß machen.


Es war nich immer festzustellen, ob die sechs sich jern hatten, mein Gommas, se kloppten sich und spielten zusammen. Se spielten Hopsen, mit’m Kullerreifen, mit’m Brummer und ditscherten. Und wenn se im alten Prill ’n Stück Drussel fanden, wurde Pferdchen jespielt. Mein Gommas, was sind die übern Hof jepeest!


Se war’n immer draußen, weil die Stuben zu klein war’n. Am liebsten kieterten se im Modder ’rum, fingen inne Radaun Kaulquappen, Stuchel oder Stuchlinskis, Mollerpietzges, Neunaugen und kleine Poggen. Auf der Wiese jagten se Grashoppers. Im Winter fuhren se aufm Tepperteich Schlitten oder se machten sich ne Glibberbahn. Sie glibberten , bis se Frostbeulen hatten, aber es gab ja COLODIUM.


Eijentlich konnten se zufrieden sein, bis auf die Koddern. Mein Gommas, die mussten se schleppen, bis se aufgeschlunzt war’n. Am schlimmsten traf es das dritte Marjellchen, die Magdalena. War so’n hübsches Kind mit den zwei Zageln, die kriegte jeflickte Kussel an. „Bei der ist das nicht weiter schlimm, die benuschelt und beklietert sich sowieso jeden Tag von oben bis unten. Ihre Schlorren sind immer voller Blott. Warum soll ich sie aufplustern“, lachte Mutter.


Mein Gommas, sechs Bäljer und alle verschieden. Da blieb es nich aus, dass se sich anbranschten. Egal aus welchem Anlass, der Dialog war fast immer gleich:

„Du, das ist mein Ratzefummel !“ „Isses nich, du bist ja schucker!“

„Du hast ihn mir jeklaut, du olle Pogg!“ „Das hab’ ich nich, du Dussel!“

„Los gib ihn mir wieder, du dewatsche Koss!“ „Mutter!!! Die damlige Goy hat mein Ratzi jeklaut! Mutter !!!!“

Und die Mutter kam und schrie: „Werdet ihr wohl ruich sein, seid ihr vonne Biss jestochen? Ich hau euch gleich den Dubs voll“!

Was für sie zunächst greifbar, hatte sie gleich mitgebracht, ob Schrubber, Klopper oder Tamchen. Vorm Tamchen hatten alle Schedder und vorm Vater. Mein Gommas, wenn der anjeschlorrt kam …..!

Turbulent ging’s da zu, und manch ein Vorüberjehender mach jedacht haben: Und so was jeht nu inne Hohe Schul.


Könnte man aufschreiben, was sich da während der vielen Jahreszeiten in den vielen Jahren abgespielt hat, ach, das wär’ ‚ne funz Jschicht. Ährlich!


Na ja, die sechs Bäljer wurden größer, Apolonia trug schon Schuh mit hohe Hacken, schielte nach’m Schleiserchen.

Walterchen trug Knickebockers zu seinem Djäkett und ‚ne Luimütz. Ja, und dann war aufmal Krieg, ein Krieg der vieles veränderte. Es kam die Flucht und wurden in alle Winde verstreut. Nuscht konnten se mitnehmen, rein jar nuscht.


Aus altem Prill und Schmurr baute sich jeder sein eignes Nest, ohne dass auch nur einer geschnorrt hat.

Man erzählt sich, dass aus den einstigen Marjellchen und Lorbassen ganz ordentliche Menschen jeworden sind. Mein Gömmas, sie gewöhnten sich allmählich an das Großstadtleben und an andere Kost. Statt Pomuchel aßen sie Dorsch, statt Prachersoß Sauce Hollandaise, statt Flinsen Omelett, statt Wrucken Lübeker National, Rouladen anstelle von Fefferklops und Soupe au lait anstatt Klietermus. Mein Gommas, die Zeiten hatten sich geändert.


Und man erzählt sich weiter, dass die Schorfkreten von einst jede Möglichkeit ausschöpften, um mal zusammen zu sein. Es störte sie nicht, wenn die Nachkommen sie ob ihrer Albernheiten belächelten und unverständlich den Kopf schüttelten.

Die sechs Geschwister sollen sich nie mehr angebranscht haben, sie waren einander zugetan wie – ja wie – mein Gommas, wie in alten Zeiten.



Quelle: Norbert Trojahn - ehemals Werderstr. 12a