Norbert Trojahn - Ein Lorbass aus der aus der Werderstraße
Hier erzählt Magda Bils-Trojahn was sie erlebte und fühlte als der 2. Weltkrieg begann. Auszug aus ihrem Buch  “Bei uns zu Hause - Mein Pflichtjahr“

Baumschulenbesitzer Franz Rathke

Jedes deutsche Mädel war in der Pflicht, ein Jahr lang bei anderen Leuten im Haushalt, im Kindergarten, im Lazarett oder auf einem Bauernhof tätig zu sein.


Im April 1940, als unsere Schule aufgelöst wurde, wir also entlassen waren, wurde ich aufgefordert, mein Pflichtjahr zu absolvieren. Vater hatte die Wohnung über uns an eine 4köpfige Familie vermietet, die Mutter war sehr schwer an Asthma erkrankt.

Wer auf die gute Idee kam, mich dort als Pflichtjahrmädchen einzusetzen, weiß ich nicht mehr. Niemand sollte wissen, daß ich dort nur am Sonnabend arbeitete. Eigentlich habe ich da nur ein wenig Staub gewischt und die Fußböden mit Schellack eingerieben. Überwindung kostete es mich allerdings, 'das Nachtgeschirr' 'runter zu tragen und zu leeren. Nach knapp einem halben Jahr erhielt ich den ersten Lohn von 33 Reichsmark. Davon wurde ein bunter Stoff aus Taft gekauft aus dem Mutter mir ein hübsches Kleid nähte.


Durch Beziehung erhielt ich eine Stelle beim Jugendherbergsverband in Danzig. Welch' ein Zufall, dort Schwester Maria aus der Klosterschule wieder zu sehen. Sie verhandelte mit meinem Chef, dem Oberbannführer Raddatz. Ich schämte mich, dort zu sitzen, denn die Nazis hatten den Nonnen ihr und mein geliebtes Schullandheim beschlagnahmt.


Wenn ich glaubte, dem noch nicht abgeleisteten Pflichtjahr entkommen zu sein, irrte ich mich gewaltig. Ich mußte kündigen und sollte in Klein-Kleschkau auf einem Gut meinen Dienst ableisten. Zu Hause hatten wir schon Einquartierung. Soldaten, die vorübergehend in Praust stationiert waren, brauchten eine Unterkunft, meine Eltern stellten das Wohnzimmer zur Verfügung. Es waren nette Jungs, die bei uns wohnten. Ein bekannter Gitarrist, Gerd Hellwig, war eine zeitlang unser 'Gast'. Seine Gitarre hatte er bei sich, und wir freuten uns sehr, wenn er am Abend für uns spielte. Nach dem Krieg hörten wir ihn im “Radio Hamburg“ spielen. Diesmal hatten wir zwei Soldaten bei uns, die so lustig waren, daß wir aus dem Lachen nicht heraus kamen. Und da sollte ich auf's Land gehen?

Ich grübelte, wie das verhindert werden könnte. Als mich der Gutsherr in Begleitung seines Sohnes mit der Kutsche abholte, hatte ich so einiges in meinem Gepäck. Mich erwartete ein hübsch eingerichtetes Zimmer. Meinen Nachtschrank dekorierte ich mit einem Aschenbecher, daneben legte ich französische und englische Literatur und mein Lateinbuch. Ich gab an, daß die Wände wackelten.


Meine erste Arbeit war, den Hühnerstall auszumisten. Mit meinem schönen Taftkleid und einer weißen Schürze ging ich in den Stall. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte mich die Gutsherrin erstaunt. Meine Erklärung, ich hätte nichts anderes, akzeptierte sie. Ich stellte mich saublöd an, vor allen Dingen wollte ich mich nicht schmutzig machen.

Am 2. Tag galt es morgens, Schnee zu fegen. Oh, das kannte ich, denn das hatte ich von meinem Vater abgesehen. Nur, hier hatte ich eine riesige Fläche zu bearbeiten, so daß ich Schwielen an den Händen bekam. Abends schrieb ich an meinen Freund einen Brief, adressiert an Herrn Oberleutnant Walter G. Das Schreiben ließ ich offen liegen in der Hoffnung, die 'Herrin' würde ihn bestimmt aus Neugier lesen. Ich hatte in dem Brief alles negativ beschrieben, angefangen von meinem kleinen Zimmer mit dem wackeligen Tisch und dem quietschendem Bett. Ich ließ ganz einfach kein gutes Haar an meiner Unterkunft und Arbeitsstelle. Den Brief gab ich zur Post, an den kleinen Gefreiten Walter G.


Am 3. Tag mußte ich ins Herrenzimmer zum Appell: “Wir glauben“, hieß es, “Sie sind für uns nicht geeignet, Sie können gehen.“ Mein 'Danke' verband ich mit einem tiefen Knicks. Nur wenige Tage hatte ich mit diese Theater gewonnen, aber immerhin.........!

Vorsorglich hatte ich die Fühler nach Tante Klara, eine Cousine meiner Mutter, ausgestreckt.

Sie wohnte in Rosenberg und hatte einen Landwirt geheiratet.

Es war nicht so einfach, sie zu überreden, mich als Pflichtjahrmädchen einzustellen, denn sie hatte schon eines. Das Arbeitsamt zu überzeugen, daß ich nicht die Schuld daran trug, von der Gutsherrin abgewiesen worden zu sein, fiel mir nicht schwer.

Beim Bauern Höhn ging es einigermaßen gut. Ich war so eine Art Haustochter, putze die Zimmer, bereitete das Essen mit vor, auch zur Feldarbeit wurde ich herangezogen. Nebenbei half ich der Tochter bei den Schularbeiten, die ebenfalls unsere Schule besucht hatte und nun auf eine andere übergewechselt war.


Der Bauer hatte zum ersten Mal versucht, Gurken anzubauen. Das Ergebnis war für ihn traumhaft, für mich ein Trauma. Auf dem Hof abgeladen, türmten sich die grünen Schlangen zu einem riesigen Berg. Wir haben sie sortiert, aber der Bauer selbst hat sie in Holzfässer eingelegt. Die Gewürze wie Meerettich und Lorbeer holten wir aus den Gräben an der Straße.


Auf dem Hof arbeitete ich mit 'Volksdeutschen' zusammen. Es waren Polen, die 'eingedeutscht' worden waren und leider nur polnisch sprachen. Tante Klara war geizig und ernährte die Leute lieblos. Einmal in der Woche fuhr sie in die Stadt, da konnte ich für das Mittagessen sorgen. Für eine Zwiebel an den Bratkartoffeln, etwas mehr Salz und Schmalz an den Gerichten, waren die jungen Leute mehr als dankbar. Tante Klara vertraute mir, aber ich habe sie beklaut. Wenn ich am Dienstag mit Pferd und Wagen den Brotteig in Langenau beim Bäcker ablieferte, brachte ich am Abend statt der errechneten 15 Brote nur 14 mit. Eines hatte ich für die hart arbeitenden Leute abgezweigt. Das konnte ich natürlich nicht jede Woche machen. Antek, Wladislaus, Katinka und die anderen waren mir dankbar und gingen für mich durchs Feuer. Sie unterstützten mich, wenn ich mal schwere Sachen tragen mußte. Ach, es war für uns alle eine schwierige Zeit.

Am 19. Dezember 1941 hatte ich mein Pflichtjahr beendet.


Magda Bils Trojahn wurde am 15. 09. 1922 in Danzig-Praust geboren

und verstarb am 07.07.2005 in Norderstedt.


Quelle: Norbert Trojahn - ehemals Werderstr. 12a