Erwin Völz - Praust Anfang März 1945

Liebe Danziger Freunde,
meine letzte eMail habe ich am 1.03.2002 an Euch geschrieben: Piasnitz - was sonst noch in Praust geschah. Leider konnte ich danach infolge eines Bandscheibenvorfalls keine Fortsetzung schreiben. Schmerzen, UNI-Klinik und REHA haben das verhindert. Nun aber will ich den Bericht fortsetzen.

Was war nun weiter mit den Einsätzen, durch das DJ in der Waffenmeisterei der Infanterie auf Gut Praustfelde.
Geschildert hatte ich schon, die Tieffliegerangriffe der sowjetischen Luftwaffe. Ausser einiger Gegenwehr durch leichte Vierlingsflack und MG's der Wehrmacht, hatten sie nichts zu fürchten. Und die Flüchtlingstrecks auf den Straßen in Richtung Danzig-Stadt, sowie die Eisenbahnzüge waren ständig ihre Ziele.

Im Park des Praustfelder Gutes waren wir davor erst einmal sicher. Die Aufklärung der Sowjets wusste bis Ende Februar 1945, von der Existenz der Waffenmeisterei noch nichts.
Das änderte sich mit dem Durchbruch der Fronten in der Kaschubei, in den ersten Märztagen 1945.
Wie schon in meiner eMail vom 01.03.2002 beschrieben, hatten meine Eltern den Entschluß gefasst, daß unsere Familie, Mutter mit uns 3 Kindern, in der Nähe unseres Vaters bleibt. Er war ja auf dem Befehlszug der Generalität und Gauleitung Forsters als Lokführer dienstverpflichtet. Er war nicht Soldat, sondern so genannter blauer Eisenbahner. Anfang März 1945 war er irgendwo bei Gotenhafen (Gdingen). Von dort aus kam er letztendlich nach Hela.

Zu dieser Zeit wurde Praust von der sowjetischen Artillerie erreicht. Wir Jungen, unter den dort auf dem Gut arbeitenden Soldaten, hörten plötzlich das Pfeifen von Granaten. Wir hatten irgendwo mal aufgeschnappt, daß diese pfeifenden Geschosse über uns hinweg fliegen und uns nicht treffen würden. Sie schlugen mit Getöse, krachend weiter hinter uns, im Park ein.
Die Soldaten waren in Deckung verschwunden. Wir Jungs rannten westwärts aus dem Park heraus. Dort war der Praustfelder Weg, die Zufahrt zum Gut. Und nun hinein in den Straßengraben in Deckung. Wir waren dort noch 4 oder 5 Jungen. Die Artillerie schoss sich ein. Wir hörten nun Granaten vor uns einschlagen. Wir konnten über den Grabenrand hinweg, auf dem Acker zwischen der Eisenbahnlinie Praust - Danzig und unserem Graben, die Einschlagsexplosionen sehen.

Sie kamen näher auf uns zu. Es waren gewaltige Erdpilze die da hochgeschleudert wurden. So nah hatten wir so etwas noch nicht erlebt.
Die Detonationen und er Anblick der heranziehenden Gefahr ließ uns in Angst verfallen. Wir liefen im Graben in nördlicher Richtung davon und meinten ausweichen zu können. - Inzwischen hatte der Waffenmeister, Soldaten ausgesandt uns zu suchen. Man fing uns ängstliche Jungen ein.
So stopften sie uns gerade noch in einen Erdbunker. Der Beschuss prasselte in den Park und auf den Hof. Im flachen Erdbunker schüttete es Erde und Stroh, welches offensichtlich dazwischen lag. Wir zitterten vor Angst und waren heilfroh als der Angiff vorüber war.
Ohne uns weiter um die Schäden zu kümmern, ranten wir danach jeder nach Hause zu den Familien. Meine Mutti war schon in Sorge, hatte sie doch in der benachbarten Praustfelder Siedlung, den Beschuss gehört.
Nun ließ sie mich auch nicht mehr fort, der "Dienst" war für mich dort zu Ende.
Wir packten unsere Sachen zur Flucht aus dem Wohnort Praust. Was sollte ich nun aber mit der Pistole 08 machen, die ich auf unserem Dachboden samt Minition versteckt hatte. Ich nahm die Pistole aus der schwarzen Ledertasche heraus und steckte sie in meinen Rucksack, und die ca 100 Patronen im Karton dazu. Mutter wußte nichts davon. Die leere Tasche steckte ich im Dachfuß, unter den Fußboden. Dieses sollte ein viertel Jahr später, dann noch zu Schwierigkeiten mit der danach einziehenden polnischen Miliz führen.
Mutter machte sich mit uns drei Kindern und Gepäck auf den Weg, per Zug nach Danzig Pfefferstandt.

Dort in den Keller der Hevelius-Gaststätte zu ihrer Schwester Minna Buß, geb. Lau. Neben der Gastwirtschaft war die Druckerei Schnelle. Vater kam dort auf Kurzurlaub. So fuhren wir am nächsten Tag nocheinmal nach Praust. Die beiden damals achteinhalb Jahre alten Zwillings-Schwestern blieben bei Tante Minna. Ich dagegen mußte mit. Wir holten Federbetten, die Hühner und Kaninchen wurden geschlachtet usw. - Schnell mußte alles gehen.
Die Gefahr durch Tiefflieger und Artilleriebeschuß war groß. Ohne Schwierigkeiten waren wir von Danzig-Hbf nach Praust gekommen. Zurück kamen wir unter Beschuß.
Die Eltern waren mit ihrer Last schneller. Sie waren schon am Bahnübergang zur Bahnhofstraße. Ich war zurückgeblieben an einer Holzhandlung oder Baugeschäft.
Es setzte Artilleriefeuer ein. Wie "gelernt" warf ich mich mit meinem Bettsack hin, eng angelehnt an eine kleine Wegböschung vor einem Bretterzaun, mit oberem Maschendrahtfeld. Es krachte plötzlich fürchterlich, nun lief ich nicht mehr weg und presste mich an die Erde, den Sack vor mir liegend. Die Granate war ca. 5m weiter in einen zweiten Bretterzaun eingeschlagen. Erde und zersplittertes Holz flogen durch die Luft, gegen den Zaun hinter dem ich nun lag. Es war ein Glück, ausser Dreck und Holzregen bekam ich nichts ab, in meiner Deckung am Böschungdfuß.
Am Bahnhof kamen wir wieder zusammen, ich war zwar noch ängstlich, aber auf dem Wege der Gewöhnung an Gefahr, denn sie nahm ja ständig zu. Mit dem Vorortzug fuhren wir drei Richtung Danzig. Auf der Strecke nach St. Albrecht hielt der Zug, denn die Artillerie beschoß die Bahnlinie. Teilweise hatten sich die Fahrgäste an den Bahndamm gelegt. Wir lagen auf dem Wagenboden und haben alles gut überstanden. Der Zug und die Bahnstrecke wurden nicht beschädigt. Wir kamen gut nach Danzig-Pfefferstadt zu Tante Minna. Unser Vater mußte am Abend wieder Richtung Gotenhafen.

Quelle: Erwin Völz, Danzig-L